„Sicher ist: Wenn wir von Kommunikation reden, meinen wir offenbar vor allem das, was Menschen alltäglich tun: in Beziehung treten, Verbindungen schaffen, miteinander umgehen, sich verständigen“ (Frindte/Geschke 2019).
Kommunikation ist demnach vielfältiges im alltäglichen – Kommunikation ist Lebensgestaltung. Wie das Leben gestaltet wird, ist auch davon abhängig, wie viel Überleben im Leben steckt. Menschen in Armut beispielsweise, bei denen das Einkommen nicht für Urlaub, Kinoaufenthalt oder Restaurantbesuch reicht, sind um Erfahrungen beraubt. Diese Einschränkung wiederum beeinflusst, mit wem und worüber kommuniziert werden kann. Was zum Themengegenstand gemacht werden kann, hängt damit zusammen, was erlebt wird. Mitreden können wird so zu etwas, dass man sich leisten können muss.
Diese einleitenden Sinnzusammenhänge sollen aufzeigen, dass das Thema Kommunikation und Kommunikationspsychologie umfangreich ist. Für Einordnung kann nun das Lehrbuch Kommunikationspsychologie (Beltz Juventa) sorgen. Ging es vorausgehend darum, aufzuzeigen, warum Menschen unter Umständen leiden und somit in ihrer Kommunikation eingeschränkt sind, gehen Frindte und Geschke in Ihrem Lehrbuch unter anderem den Fragen Wer kommuniziert wie? und Wer kommuniziert mit wem in welcher Weise? nach.
Aus dem Buch Einführung in die Kommunikationspsychologie (2001) ist das Lehrbuch Kommunikationspsychologie (2019) geworden. Eine sorgfältige Überarbeitung in zwölf Kapiteln.
Wo die Fachbrille mal abgesetzt werden sollte, was interessante Begleitphänomene der Kommunikation sind und wodurch sich eine gelungene Theorie auszeichnet, Prof. Dr. i. R. Frindte und Dr. phil. Geschke gaben Antworten.
Vielfalltag: Wann haben Sie zuletzt mit Ihnen unbekannten Menschen auf sozialen Netzwerken kommuniziert und wie war es?
Frindte & Geschke: Ende April – mit Mitgliedern der Bewegung Scientists-for-Future (s4f). Es war hilfreich, um auch in Jena und Umgebung eine Gruppe von s4f zu gründen und damit die f4f (Fridays For Future) noch besser unterstützen zu können.
Vielfalltag: Sie schreiben: „Wir (…) versuchen (.) einen Pluralismus von Prinzipien, Theorien und Methoden zu vertreten, um der möglichen Vielfalt von Wirklichkeiten zu entsprechen“. Wie sind Sie vorgegangen, um das für das Lehrbuch zu schaffen?
Frindte & Geschke: Zunächst einmal dadurch, dass wir selbst große Anhänger einer pluralistisch orientierten Streitkultur sind. Das heißt auch, wir versuchen, nicht immer, aber immer öfter, die Durchlässigkeit unsere eigene Fachbrille zu prüfen. Dann haben wir uns im Buch tatsächlich weniger nach den philosophischen und/oder politischen Auffassungen von Autor/innen gerichtet. Gute wissenschaftliche Qualität war ein wichtiges Kriterium, um eine Vielfalt von wissenschaftlichen Prinzipien, Theorien und Methoden vorzustellen.
Vielfalltag: Die Psychologie hat neben der Kommunikationspsychologie noch weitere Unterbereiche. Welche Position nimmt die Kommunikationspsychologie ein und welche Wichtigkeit wird ihr zugeschrieben?
Frindte & Geschke: Kommunikationspsychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie. Ihren Rang und ihre Wichtigkeit im Ensemble der anderen psychologischen Disziplinen zu bestimmen, steht uns eigentlich nicht zu. Natürlich sind wir selbst von der herausragenden Position der Kommunikationspsychologie überzeugt. Die tatsächlichen Kriterien für die Wichtigkeit sind aber ihre gesellschaftliche Nützlichkeit. Und diese wiederum muss sich im wissenschaftlichen Streit mit den Vertreter/innen der anderen Disziplinen und in der gesellschaftlichen Anwendung kommunikationspsychologischer Erkenntnisse erweisen. Ein bisschen marxistisch sind wir also immer noch.
Vielfalltag: Wie würden Sie die Hauptaufgabe der Kommunikationspsychologie beschreiben?
Frindte & Geschke: Im Buch schreiben wir u.a.: Menschen tun etwas, bezeichnen das, was sie tun, mit Worten, drücken dies sprachlich oder nichtsprachlich (in Sätzen oder Gesten) aus, versuchen mittels der Sprache und ihren Gesten oder ihrer Mimik andere Menschen anzuregen, sich bestimmte Bilder und Vorstellungen von der Wirklichkeit zu machen und so weiter und so fort. Mit all diesen Dingen sollte sich auch die Kommunikationspsychologie beschäftigen.
Etwas trocken heißt es dann auf Seite 35: Kommunikationspsychologie befasst sich mit den Strukturen und Prozessen der Kommunikation zwischen Menschen in unterschiedlichen sozialen Systemen (in Paarbeziehungen, Gruppen, Institutionen und in übergreifenden gesellschaftlichen Kontexten) und mit den Resultaten der Kommunikation (den individuellen und sozialen Konstruktionen).
Wem dies tatsächlich zu trocken ist, den oder die laden wir gern ein, unser Buch zu lesen.
Vielfalltag: „Erst wenn wir von einer sozialen Gemeinschaft in eine andere wechseln (…) werden wir (in der Regel) der Problematik unterschiedlicher sozialer Codes und der Schwierigkeit des gemeinsamen Interpretierens und Kommunizierens von Welt gewahr“. Wann gab es einen solchen Wechsel in eine andere Gemeinschaft zuletzt bei Ihnen und wie herausfordernd war es?
Frindte & Geschke: Den größten Wechsel erlebte Wolfgang Frindte als Ossi beim Anschluss der DDR an die Bundesrepublik. Aber auch fast regelmäßig erleben wir und nutzen wir den Codewechsel, z.B. dann, wenn wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse in verständlicher Weise an Frau und Mann zu bringen versuchen.
Vielfalltag: Wie schwer oder wie leicht machen es Menschen ihren Mitmenschen in der Kommunikation? Fällt Ihnen etwas ein, dass, wenn es viele befolgen würden, dem kommunikativen Miteinander Segen bescheren würde?
Frindte & Geschke: Manchmal reicht es schon, einfach nur gewaltfrei zu kommunizieren. Das heißt vor allem, deutlich, ehrlich und empathisch zu kommunizieren.
Vielfalltag: Ich habe das Gefühl, dass Kommunikation und der Prozess des Verstehens, etwas Vages in sich trägt. Wo konstruiert wird, ist nicht immer mit Halt zu rechnen. Wie ist dieser Umstand zu bewerten?
Frindte & Geschke: Er ist eben etwas Vages. Deshalb mögen wir auch Kenneth Gergen, den wir u.a. auf Seite 112 folgendermaßen zitieren: „Stellt Euch mal folgendes vor: wenn ich etwas sage, bedeuten meine Worte zunächst gar nichts. Sie sind in gewisser Weise frei flottierend, ohne Folgen. Wenn Ihr mir jedoch antwortet, gebt Ihr ihnen eine bestimmte Signifikanz. Indem Ihr sie behandelt, als bedeuten sie dies und nicht das, z.B. ein Kompliment und nicht eine Drohung, als seien sie interessant und wichtig und nicht banal oder unwichtig, originell und nicht konventionell […] tretet Ihr ein in den Tanz der Bedeutung. Wir beginnen gemeinsam eine Realität zu konstruieren […], aber es ist immer eine Realität ohne Anker, immer offen für eine Umwandlung – in der nächsten Konversation“ (Gergen, 1994, S. 125).
Vielfalltag: Dank des Buches weiß ich jetzt, was paralinguale Formen der Kommunikation sind. Welche paralingualen Formen der Kommunikation mögen Sie?
Frindte: Das Gestikulieren und die Gesten, weil sie in der Regel als kommunikative Begleitphänomene bewusst weniger gut zu steuern sind. Auch das Interpretieren von Gesten der Anderen fällt meist nicht leicht. Vielleicht unterscheiden wir Menschen uns gerade durch unsere Gestik von KI-gesteuerte Maschinen. Bei Vilém Flusser heißt es: „Die Geste ist eine Bewegung des Körpers oder eines mit ihm verbundenen Werkzeugs, für die es keine zufriedenstellende kausale Erklärung gibt“ (Flusser, 1994, S. 8). Wir interpretieren Flussers Definition so: Gesten sind Zeichen, die vielfältig interpretierbar sind. Sie sind deshalb vielfältig interpretierbar, weil es keine eindeutig festgelegten sozialen Konventionen gibt, wie die Gesten aufgefasst werden können. Gesten können gewollt sein (z.B., wenn Politiker/innen den Zeigefinger heben, um die Bedeutung ihrer Wörter zu betonen) oder sie können zufällig geäußert werden (z.B. das unbewusste Wippen mit dem Fuß im Warteraum des Zahnarztes). Übrigens gibt es noch einen schönen Satz, den wir an dieser Stelle aber nicht interpretieren: „Der Marsbewohner würde wahrscheinlich beim Beobachten unserer Hände einen größeren Ekel empfinden als wir, wenn wir die Bewegung von Spinnen beobachten. Unsere Hände sind fast nie in Ruhe: es sind fünfbeinige Spinnen, die nie aufhören, auf und in der Welt zu tasten, zu berühren, zu hantieren und zu trommeln“ (Flusser, 1994, S. 51).
Vielfalltag: Wie sähe Kommunikation aus, bei der den Personen soziale Kontrolle egal wäre? Wie wichtig ist Menschen diese soziale Kontrolle?
Frindte & Geschke: Soziale Kontrolle ist ja per se nichts Schlechtes. Geht man davon aus, dass Menschen das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, nach Bedeutung haben (Arie Kruglanski nennt das „Quest for Significance“), generell nach sozialer Zugehörigkeit, dann muss man auch anerkennen, dass Menschen bemüht sind, Mechanismen zu nutzen, um dieses Bedürfnis befriedigen zu können. Soziale Kontrolle ist ein solcher Mechanismus. Dass soziale Kontrolle, z.B. durch Machtanwendung, auch negative Folgen haben kann, ist kein Widerspruch.
Vielfalltag: Zum fundamentalen Attributionsfehler schreiben Sie, dass Menschen dazu neigen „eher die Personen als die Situationen für ein Verhalten verantwortlich zu machen“. Wie kann es gelingen, solche Fehler zu umgehen?
Frindte & Geschke: Attributionen sind Zuschreibungen, mit denen wir Menschen uns die Welt im Allgemeinen und das Verhalten anderer Menschen (und auch unser eigenes) zu erklären versuchen. Insofern gilt auch hier: Attributionen und Atrributionsverzerrungen oder Attributionsfehler können durchaus wichtige Funktionen haben. Im Buch heißt es dann eben auch: „Auch wenn manche der ‚verzerrten Erklärungen‘ auf den ersten Blick ‚irrational‘ erscheinen, zeigen sie doch, dass und wie Menschen Sinn in ihre Wirklichkeit zu bringen versuchen. Derartige Bestrebungen, Sinn und Erklärung für die Wirklichkeit zu finden, können wichtige individuelle Anlässe für kommunikative Beziehungen sein. Andererseits können solche individuellen Erklärungsbestrebungen auch zu Kommunikationsstörungen und Konflikten führen. Wenn man sich z.B. nicht selbst verantwortlich für einen Misserfolg fühlt und stattdessen andere dafür verantwortlich zu machen versucht, diese aber diese Verantwortung zurückweisen, steht man vor einer Situation, die man eigentlich als ungerecht erleben sollte und gegen die man sich wehren müsste. Auseinandersetzungen dürften dann unausweichlich folgen“. Also ganz umgehen lässt sich auch der fundamentale Attributionsfehler nicht. Wichtig ist, sich solcher Verzerrungen bewusst zu sein.
Vielfalltag: Sie schreiben: „Menschen seien nie so, wie sie wirklich sind, sondern nur so, wie sie sich darstellen“. Wie gelassen oder beunruhigt sehen Sie das?
Frindte & Geschke: Diese Annahme oder Formulierung geht ja eigentlich auf den US-amerikanischen Soziologen Erving Goffman zurück. In seinem Buch „Wir alle spielen Theater“ hat er u.a. eine Rollentheorie entwickelt, die davon handelt, dass wir alle im Leben verschiedene Rollen zu unterschiedlichen Zeiten spielen. Da wir wissen, dass dies alle tun, sind unsere Sorgen auch überschaubar…
Vielfalltag: Warum fällt es manchen Menschen schwer, die Andersartigkeit anderer Menschen anzuerkennen? Was könnte solchen Menschen helfen, mehr Andersartigkeit zu akzeptieren?
Frindte & Geschke: Kontakt, Kontakt, Kontakt …, sagt die Kontakthypothese, die im Buch auch erklärt ist.
Vielfalltag: Im Lehrbuch sind viele Theorien vertreten. Welche davon finden Sie besonders erwähnenswert und inhaltlich gelungen?
Frindte & Geschke: Theoretisch ausformuliert, empirisch gut begründet, gesellschaftlich relevant und auch von einer gewissen Eleganz ist der Soziale Identitätsansatzes (SIA) von Henri Tajfel und Kolleg/innen. Was die Eleganz betrifft, so finden wir mit Gian Francesco Giudice, theoretischer Physiker am Kernforschungszentrum CERN: „Auf eine schöne Theorie zu stoßen, hat dieselbe emotionale Wirkung, wie vor einem Kunstwerk zu stehen.“ Nicht alle Wissenschaftler/innen sind dieser Meinung; wir schon. Vor allem aber ist SIA von gesellschaftlicher Relevanz und Brisanz. Der Ansatz eignet sich z.B. hervorragend, um die Argumentationsstrukturen, den Nationalismus und die Fremdenfeindlichkeit der sogenannten Identitären Bewegungen zu erklären.
Mehr zu dem Buch gibt es hier: Beltz Verlag
Es fragte: Henry Berner