Könnt ihr uns hören? Eine Oral History des deutschen Rap
Ein Buch von Jan Wehn & Davide Bortot
"Im HipHop erzählt man seine Geschichte und kämpft sich hoch – zur Not auch mehrmals"Eko Fresh
Was mit einer Platine begann, sich über mehrere Promophasen zog und schließlich zu der Popkultur schlechthin wurde, ist nicht weniger als die Geschichte von Rap in Deutschland. Rap war schon immer das Erzählen von Geschichten. Rap kann auch der packendere Geschichtsunterricht sein. Das Rap in Deutschland selbst so groß geworden ist um Geschichte zu schreiben, ist der Grund für dieses Buch.
Jan Wehn und Davide Bortot sind keine Szeneunbekannten. Wehn ist Gründer des HipHop-Qualitätsmediums ALL GOOD, auf dem auch Bortot stattfindet. Letzterer leitete von 2003 bis 2007 die JUICE Redaktion, für die Wehn auch schon schrieb. Ihre Kontakte in die Szene ermöglichten Gespräche, auf denen Könnt ihr uns hören? fußt. 116 Akteure und Akteurinnen finden nach dem Vorwort statt. Dabei wird nicht Interview an Interview geklatscht, sondern es wird gemeinsam erzählt, von den Anfängen bis in die Jetztzeit.
Die von Wehn und Bortot zusammengetragenen Aussagen sind der große Kunstgriff von Könnt ihr uns hören? Denn es sind nicht einfach aneinander gereihte Zitate, sondern Aussagen, die in ein Verhältnis zueinander gesetzt wurden. Es wird aufgegriffen, ergänzt oder auch mal erklärt. Dabei finden, dem Fantum von Wehn und Bortot sei Dank, neben etablierten Künstler*Innen auch Menschen statt, die in der öffentlichen Wahrnehmung weniger präsent sind, deren Bedeutung für die Deutschrap-Geschichtsschreibung aber unbestritten ist.
Ein Grund für das frische Leseerlebnis: Auf jeder neuen Seite stecken unverbrauchte Gedanken. Und dass, obwohl in letzter Zeit ansteigend über Deutschrap geschrieben, gesprochen und gezeigt wurde. Durch die sich abwechselnden Protagonist*Innen entsteht eine Lebendigkeit beim Lesen. So wird es aus Manager*Innen-Sicht mal etwas geschäftlich, um an anderer Stelle pure jugendliche Fan-Euphorie zu sein. Beim Nachsinnen über die eigene Fan-Perspektive tun sich Koljah und Grim104 besonders hervor. Was Grim104 meint, in Bushidos Track „Dreckstück“ gehört zu haben, ist beste Unterhaltung.
Für den Lesefluss sorgen Kapitel die Tiefe zulassen, aber auch ein Tempo beibehalten. Es kommt weder zu Über-, noch zu Unterforderung. Die Geschichtenerzählung gibt Anekdoten und Randnotizen von und für Liebhaber*Innen Platz, verliert sich aber nicht im Klein-Klein. All das ist gelungen dosiert. So gelungen, dass man sich am Ende wünscht, dass es Deutschrap schon viel länger gegeben hätte und das Buch somit noch länger sein müsste.
Das Buch kommt dabei zu einem idealen Zeitpunkt was u.a. dadurch deutlich wird, dass einstigen Fehden mit sanfter Altersmilde begegnet wird. Wenn Altersmilde auch im Kontrast zu junger, ungestümer Angriffslust steht, von der Rap immer wieder lebt, gibt diese Milde den Geschehnissen hier eine Objektivität, die dem Buch als Geschichtsbuch guttut. Es ist nämlich die Altersmilde die es den Künstler*Innen erst ermöglicht, dass sie zugeben können, dass bestimmte Zeilen auf Songs jener Zeit an bestimmte Personen gerichtet waren. Überhaupt geht es ehrlich, aufgeschlossen und reflektiert zu. Ein weiteres Beispiel für Ehrlichkeit sind Melbeatz Äußerungen darüber, wen sie alles gehasst hat, um gegen Ende auch jemanden zu erwähnen den sie mag – das ist von so direkter Wirkung wie ein guter Rapsong.
Und da in Buchform viele Charaktere vorkommen können, gelingt dieser Veröffentlichung noch etwas, woran in Vergangenheit Formate scheiterten: Nämlich eine relevante Durchmischung an Personen zu Wort kommen zu lassen. Selten war Straßen-, Gangsta-, Conscious- und Battle-Rap innerhalb einer Veröffentlichung so ausgeglichen vertreten wie hier. Einseitige Geschichtsschreibung stünde der „Begegnungsstätte“ Hip Hop, wie Götz Gottschalk sie im Buch nennt, auch wenig.
All das macht Könnt ihr uns hören? zum besten Buch über Deutschrap auf dem Markt.
Gut beraten seien nun alle Filmmacher*Innen da draußen. Auch wenn das Buch keine Zugaben nötig hat, liegt mit Könnt ihr uns hören? Stoff für eine großartige Doku-Reihe vor.
Der Ullstein Buchverlag war so freundlich uns ein Exemplar zur Verlosung bereit zu stellen. Wer dieses gewinnen möchte, schreibt bis zum 08.03.2019 eine E-Mail mit dem Betreff „Deutschrap“ an kontakt@vielfalltag.de
Mehr über das Buch gibt es hier: ullstein verlag
Es schrieb: Henry Berner