Thomas Hax-Schoppenhorst Interview – Das Einsamkeits-Buch (mit Gewinnspiel)

Es gibt das wohlige Gefühl das entsteht, wenn Zeit nach eigenem Belieben gestaltet werden kann. Wenn man Zeit nur für sich hat. Den Hobbys nachgehen, geliebte Orte aufsuchen oder den eigenen Gedanken nachhängen ohne an ihnen zu verzweifeln.
Es gibt aber auch das unwohle Gefühl das entsteht, wenn dem Leben immer mehr die soziale Komponente abhandenkommt. Wenn man Zeit nur für sich hat. Teilhabe bleibt aus, oder ist nicht fundamental. Weil mit Einsamkeit nicht hausieren gegangen wird, bleibt Anteilnahme für die eigene Situation aus, schließlich ist das alles zu schambehaftet.
Die Wege in die Einsamkeit sind mannigfaltig – Betroffene sind folgerichtig in allen Altersklassen und Schichten zu finden. Die Wege aus der Einsamkeit heraus können mit persönlichen Gründen aber auch gesellschaftlichen Hürden zugestellt sein. Eine Realität die viele Menschen betrifft und somit in der Arbeit mit Menschen beachtet werden muss.
Das Einsamkeits-Buch (Hogrefe Verlag) räumt dem Thema auf über 500 Seiten viel Platz ein. Viel Platz für unterschiedlichste AkteurInnen aus verschiedensten Professionen.  „Wie Gesundheitsberufe einsame Menschen verstehen, unterstützen und integrieren können“ lautet der Untertitel des Buches. Wer etwas dazu beitragen konnte, wurde von Thomas Hax-Schoppenhorst ausgewählt, der der Herausgeber dieses Buches ist.
Vielfalltag fragte bei dem Herausgeber und frisch ernannten Gewinner des Pflegepublizistik-Preises 2018 nach um mehr über Einsamkeit und Das Einsamkeits-Buch zu erfahren.
Pflegepublizistik Preis 2018-Thomas Hax-vielfalltag
Das Foto von der Preisübergabe zum Pflegepublizistik-Preis 2018 zeigt Jürgen Georg vom Verlag Hogrefe (links) und Thomas Hax-Schoppenhorst (rechts). Foto von: Bettina vom Eyser.

Vielfalltag: Herr Hax-Schoppenhorst, bitte skizzieren Sie den Lesern und Leserinnen doch als erstes, wie das Buch entstanden ist. Also von der ersten Idee bis hin zur Veröffentlichung. Wie kam es außerdem dazu, dass Sie Herausgeber von „Das Einsamkeits-Buch“ wurden?

Hax-Schoppenhorst: Es begann im Jahre 2016, kurz nach der Fertigstellung des „Depressions-Buches für Gesundheitsberufe“, das ich mit dem Kollegen Stefan Jünger herausgegeben hatte. Vom Verlag erging eine Anfrage an mich, ob ich mich dem Thema Einsamkeit widmen könne. Meine ersten Reaktionen waren alles andere als euphorisch. Der Stoff löste Unbehagen in mir aus. Für mich setzt Glück ein, wenn ich mit drei, vier oder mehr Menschen, die ich mag und die mich mögen, an einem Tisch sitzen kann. Al-lein der Gedanke daran, dass es um mich herum mal ruhiger werden könnte, lässt mich schaudern.

Zudem war ich in der Zeit familiär in einer Phase des Umbruchs: Meine Tochter Maren war bereits 2014 von Düren nach Detmold gezogen, um dort Musik zu studieren. Mein Sohn Frederik machte sich zunehmend, das spürte ich, für den Absprung bereit. Beide waren bzw. sind schon erwachsen, sodass wir als Eltern das große Glück hatten, mit zwei wunderbaren reifen Menschen unter einem Dach zu leben. Ich weiß, dass Kinder ihre Wege gehen müssen. Dennoch war es schmerzlich, sie nicht mehr bei uns, in unserer Nähe zu wissen.

Jürgen Georg vom Verlag Hogrefe schickte mir dann ein paar Texte und Bücher zu, die ich nach und nach las. Ich kam zu dem Schluss, dass ich eigentlich vor dem Thema weglief. So wurde aus Abwehr Interesse. Es schloss sich eine intensive Phase der Recherche an. Damit verbringe ich oft Stunden und Tage. Datenbanken und Suchmaschinen bieten heute die besten Möglichkeiten. Ich war geradezu erschlagen feststellen zu müssen, dass Einsamkeit in zahllosen Kontexten relevant ist.

Nachdem ich einen möglichen Themenkatalog erstellt hatte, begab ich mich auf die Suche nach Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Recht schnell erntete ich Zuspruch von den verschiedensten Seiten. So konnte ein gutes Team gebildet werden, das mit mir gemeinsam über 1,5 Jahre an dem Buch arbeitete. Im Laufe der Zeit wurde das Werk immer dicker, was den Verlag nicht gerade zu Jubel veranlasste, denn beim Verkauf eines Buches ist ja auch der Preis mitentscheidend. Wird es umfangreicher, steigt der Preis. Zum Glück, das haben die ersten Zahlen ergeben, war es die richtige Entscheidung. Leserinnen und Leser haben wohl erkannt, dass auf über 500 Seiten Interessantes bei einem dennoch passablen Preis geboten wird. Das erleichterte alle Beteiligten.

Vielfalltag: Was hat Sie während der Entstehung an dem Buch fortlaufend motiviert?

Hax-Schoppenhorst: Ich war ja nun in den zurückliegenden Jahren nicht unbedingt schreibfaul und konnte mich eigentlich von Beginn an für ein Projekt begeistern. Bei diesem aber ergab sich sehr früh eine besondere Dynamik. Ich merkte durch meinen Schriftwechsel und durch Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen, dass alle mit großer Aufmerksamkeit und mit Herzblut bei der Arbeit waren. So kam es zu einer Nähe, die erstaunlich ist und mich bewegte. Man sieht ja bei solchen Projekten die Beteiligten (fast) nie. Mails und Telefonate sind die einzigen Kontakte. Dennoch fühlten wir uns in einem Boot.

Maßgeblich ist auch das Klima im Umfeld einer Buchproduktion. Hogrefe steht nun wirklich für Qualität. Die Betreuung von Autoren und Herausgebern ist hervorragend. Zudem ist es immer eine große Stütze, wenn so langjährig erfahrene Menschen wie Jürgen Georg vom Lektorat und von der Programmplanung bei Hogrefe dabei sind. Sein Rat ist Gold wert. Nicht zu vergessen ist Michael Herrmann, der extern die Bücher redigiert. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Berufserfahrung, sieht den kleinsten Fehler, jede Unstimmigkeit und ist ein excellenter Ratgeber.

Auch der häufige Zuspruch von Mitautor und geschätztem Kollegen Christoph Müller war regelrecht so etwas wie eine Vitaminzufuhr.

Mit all dem im Rücken kann man dann das Wachsen und Gedeihen eines Buches mit Freude beobachten. Gegen Ende konnten wir alle es kaum noch aushalten vor Ungeduld. Als wir dann das sehr gut verarbeitete Buch in Händen hielten, waren wir nachvollziehbarerweise mächtig stolz.

Vielfalltag: Welche Hürden in Ihrer Herausgeber-Tätigkeit gab es zu meistern und was lief leichter als gedacht?

Hax-Schoppenhorst: Die sicherlich größte Hürde besteht in dem weißen Blatt Papier, das in den Anfängen vor dem Herausgeber liegt und ihn in Wallungen versetzt. Dieses gilt es mit Themen und Namen zu füllen. Dann ist der Anfang gemacht. Legt man etwas Disziplin an den Tag, kommt ein Steinchen zum anderen. Die ersten Zusagen motivieren stark. Irgendwann kommt dann das sichere Gefühl auf: Das wird was!

Geht man mit der Haltung an die Arbeit, bis zum Abgabetermin der Manu-skripte könne man den Dingen ihren Lauf lassen, ist man als Herausgeber schlecht beraten und baut sich damit sozusagen die Hürden selbst. Bleibt man im Kontakt mit den Autorinnen und Autoren, laufen die Dinge viel besser. Herausgebertätigkeit ist also Teamwork!

Die letzte Hürde nimmt man mit der Erstellung der Endfassung. Alle Texte müssen noch einmal gesichtet und auf das Verlags-Format gebracht werden. Zum Glück ist man auch da nicht allein.

Vielfalltag: Im Buch sind einige Definitionen von Einsamkeit zu finden, welche davon finden Sie besonders trefflich bzw. was ist Einsamkeit für Sie?

Hax-Schoppenhorst: Aus meiner Sicht ist die Formulierung von Schwab, übrigens ein Autor bei Huber (heute Hogrefe), aus dem Jahre 1997 „quälender Abstand“ die eingänglichste und plausibelste. Einsame Menschen fühlen sich in der Tat gequält. Aus verschiedenen Gründen ist es ihnen verwehrt, gelingt es ihnen nicht Kontakte mit Menschen zu pflegen, obwohl sie sich danach sehnen. Das Problem besteht vor allem darin, dass sie sich nicht selten ausschließlich die Schuld an diesem Zustand geben.

Einsam sind in unserer heutigen Zeit nicht nur die alten Menschen – auch jüngere klagen darüber! Denken wir zudem an Arme und damit allein aus ökonomischen Gründen sozial ausgegrenzte Personen, deren Zahl beständig steigt, denken wir an chronisch oder psychisch Kranke, Menschen mit Behinderungen, im wahrsten Sinn des Wortes entwurzelte Flüchtlinge … Einsam fühlen sich aber auch diejenigen, die dem Erfolg emsig hinterherrennen und dabei nicht ans Ziel zu kommen meinen, Menschen auf der Sinnsuche, …

Vielfalltag: Das Buch wirbt damit, auch für interessierte Laien geeignet zu sein welche nicht in den Gesundheitsberufen angesiedelt sind. Was bietet das Buch interessierten Laien?

Hax-Schoppenhorst: Das Buch war von Beginn an so ausgerichtet, dass es neben den vielen fachlichen Impulsen auch genügend Lesestoff für jene bietet, die ein allgemeines Interesse an der Problematik haben. So erklärt sich auch die Verschiedenheit der Textsorten: Neben fachwissenschaftlichen Beiträgen sind Essays, Berichte und literarische Texte vertreten. Gleich mehrere Texte beschäftigen sich mit den positiven Facetten des Alleinseins. Unser Werk ist somit eine Fundgrube im guten Sinne für jede und jeden. Es tritt mit einer Bandbreite an mögliche Käufer heran, die auf dem deutschen Buchmarkt erstmalig ist.

Vielfalltag: War es an der Zeit für das Buch? Wurde oder wird das Thema Einsamkeit Ihrer Meinung nach zu sehr vernachlässigt?

Hax-Schoppenhorst: Da muss man klar zwischen der gefühlten Einschätzung und den Fakten unterscheiden! Der mittlerweile leider verstorbene amerikanische Professor John Cacioppo hat sich schon vor vielen Jahren damit auseinandergesetzt und bahnbrechende Bücher dazu geschrieben. Der eben erwähnte Reinhold Schwab hat bereits vor der Jahrtausendwende dazu gearbeitet.

Einsamkeit war und ist also – zum Glück – Thema. Zum Jahresbeginn machte ein deutscher Verlag umfangreich damit Werbung, erstmalig dieses bedeutende Problem mit einer Publikation in der Öffentlichkeit anzusprechen. Das mag werbewirksam sein, es trifft jedoch nicht zu.

Zutreffend allerdings ist, dass Einsamkeit zunehmend in der öffentlichen Wahrnehmung und in der politischen Diskussion den gebührenden Platz findet. Bleibt zu hoffen, dass es nicht nur ein „Modethema“ ist.

Einsamkeit und Vereinsamung sind ja nicht über Nacht vom Himmel gefallen. Mit der nicht mehr zu verdrängenden Wahrnehmung ihrer Existenz brechen bislang notdürftig versorgte Wunden auf, werden eklatante gesellschaftliche Defizite offenbar, werden uns allen durch die vielfach zu beobachtende Sinnentleerung im Leben des modernen Menschen unangenehme Fragen gestellt.

Ich gehe davon aus, dass wir diesbezüglich erst an den Anfängen der gesellschaftlichen Debatte sind. Womit sich eine große Chance eröffnet!

Vielfalltag: Was sind blinde Flecken, die sich rundum das Thema der Einsamkeit auftun? Welche weiteren Themen müssen mitgedacht werden, um sich ernsthaft mit Einsamkeit auseinanderzusetzen?

Hax-Schoppenhorst: Unbestritten ist offensichtlich, dass Einsamkeit langfristig krank macht. Körper und Seele leiden im hohen Grade. In unserem Gesundheitswesen muss man sich dieses Faktors bewusst werden. Einsamkeit ist keine Diagnose, dafür ein Symptom unserer Zeit, das seine Opfer fordert.

Zudem müssen wir uns von der Sichtweise verabschieden, Einsamkeit sei so etwas wie ein ausschließlich selbst verschuldetes Problem – gewissermaßen das Produkt der eigenen Unzulänglichkeit, des fehlenden Durchsetzungsvermögens. Vielmehr ist sie das Ergebnis von Ausgrenzung, ökonomischer Benachteiligung, wabernder Gleichgültigkeit, sozialer und emotionaler Kälte, galoppierendem Egoismus und wachsender Entsolidarisierung. Es ist ein gefährlicher Trend zu meinen, ein solches Schicksal könne jemanden nicht treffen, wenn er oder sie nur nassforsch und hemdsärmelig genug auftritt. Das Floriansprinzip „heiliger Sankt Florian, behüt‘ mein Haus, zünd‘ and’re an…“ mag zunächst Linderung bewirken, ist jedoch langfristig als Fehlkalkulation anzusehen. Wir bewegen uns gesamtgesellschaftlich auf eine Sackgasse zu. Das ist der eigentliche „blinde Fleck“!

Vielfalltag: Sie waren in der forensischen Psychiatrie tätig – wenn Sie an jene Zeit denken und dann an Einsamkeit denken, welche Erinnerungen und Gedanken kommen Ihnen dann?

Hax-Schoppenhorst: Nun, forensische Patientinnen und Patienten sind in der Tat einsam! Sie sind als psychisch krank und straffällig gewordene Personen doppelt stigmatisiert, leben – in der Regel gegen ihren Willen – in langjähriger Unfreiheit; sie wurden oft von ihrem bisherigen familiären und sozialen Umfeld verlassen und müssen die Zeit der Unterbringung mit der zentralen Frage verbringen, ob es ihnen jemals gelingen wird, draußen wieder Fuß zu fassen. In der öffentlichen Wahrnehmung haben sie kaum eine Lobby. Das ist eine düstere Bilanz und Perspektive.

Ich habe bei meiner pädagogischen Arbeit daher stets jene Klienten bewundert und auch mit Energie begleitet, die sich trotzdem ihrer Vergangenheit gestellt haben und versuchten, ein neues Leben zu beginnen.

Würde es gelingen, sie weniger als Gestrauchelte zu verdammen, wäre ihre Einsamkeit nicht so erdrückend. Zum Glück gibt es in Deutschland und Europa viele Kliniken, die mit forensischen Patienten gut und zielführend arbeiten.

Vielfalltag: Wie kann man sich Ihr Wirken in der Öffentlichkeitsarbeit (dem Feld in dem Sie jetzt tätig sind) vorstellen und welche Rolle spielt das Thema Einsamkeit da?

Hax-Schoppenhorst: Ich arbeite in der LVR-Klink Düren, Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, seit 31 Jahren. Die Öffentlichkeitsarbeit ist mein Aufgabenschwerpunkt. Psychisch kranke erleben in vielen Kontexten Einsamkeit: Sie fühlen sich oder gelten als wenig(er) belastbar, leiden unter den Symptomen, möchten nicht auffallen und tun sich aus guten Gründen schwer, ihre Erkrankung offen anzusprechen, da sie für viele noch als Makel gilt. Öffentlichkeitsarbeit in der Psychiatrie besteht daher aus umfangreicher Aufklärung, aus dem Bemühen um Entstigmatisierung. Bei einer guten Behandlung gelingt es sehr vielen, ihren Platz im Leben wieder einzunehmen.

Psychische Erkrankungen werden, wenn sich auch in den letzten Jahren einiges getan hat, tabuisiert. Zudem gibt es noch immer üble Klischees über das „Verrücktsein“.

Dabei ist es eine Milchmädchenrechnung: Niemand ist gegen eine psychische Erkrankung gefeit; unter bestimmten Bedingungen kann es jeden Menschen treffen.

Wir sind also noch weit weg von Verhältnissen, in denen über psychische Erkrankungen in gleicher Offenheit gesprochen wird wie über einen Beinbruch oder ein Magenleiden.

Dennoch sind wir auf gutem Wege. In Düren investieren wir viel darin, Menschen zu informieren und Berührungsängste mit der Psychiatrie zu nehmen.

Vielfalltag: Nach Helmut Remschmidt ist Einsamkeit „ein Zustand, in dem der Mensch ganz auf sich geworfen ist“. Wenn dieses Interview nun jemand liest der/dem es so geht, was würden Sie ihr/ihm mit auf den Weg geben?

Hax-Schoppenhorst: Remschmidt trifft den Nagel auf den Kopf. Auf sich geworfen zu sein, kann als massive Bedrohung, aber auch als Chance gesehen werden. Wenn ich also auf niemanden zurückgreifen kann, muss ich mir unmissverständlich die Frage stellen, was ich will, worin meine Fähigkeiten liegen, was ich ohne Unterstützung anderer erreichen möchte. Es gibt ja durchaus Menschen, die suchen diesen Zustand ganz gezielt für eine längere Zeit auf, um entsprechende Erfahrungen zu machen. Hinterher berichten sie nicht selten von heilsamen Wahrnehmungen und Gefühlen.

Einem Menschen, der sich derzeit so fühlt (ohne es beabsichtigt zu haben), würde ich zunächst mit auf den Weg geben wollen, dass „auf sich geworfen sein“ nicht gleichbedeutend mit Leere sein muss. Wir alle tragen Ziele, Träume, Bilder von uns in Kopf und Herz – die unabhängig von weiteren Menschen um uns herum sind. Das bewusst zu spüren, kann auch sein Gutes haben.

Sicherlich wollen die meisten diesen Zustand nicht auf ewig. Die Frage „Wer bin ich?“ kann ich aber am ehesten beantworten, wenn ich auf mich gestellt bin.

Bei der Gelegenheit: Bei den Strategien zur Überwindung von Einsamkeit hat sich das Durchbrechen der negativen Gedankenspiralen als sehr hilfreich erwiesen. Reduziere ich die negativen Phantasien im Sinne von „ich kann nicht“, „niemand will mich“ und „mir gelingt es nie“, ergibt sich nach und nach ein besseres Selbstbild.

Vielfalltag: Neben all den Texten ist im Buch auch Kunst vertreten. „Öffentlich präsentierte Kunst ist (.) eines der besten Mittel gegen Einsamkeit“ schreibt Raymond Unger. Sehen Sie das auch so? Kennen Sie etwas aus Literatur, Musik oder Film, das Einsamkeit besonders gut thematisiert hat?

Hax-Schoppenhorst: Raymond Unger hat seinen Weg gefunden, über die Kunst seinen Einsamkeitsgefühlen Ausdruck zu verleihen. Ich bin als schreibender Mensch immer völlig beeindruckt, wie es über Bilder möglich ist, sich in der Weise intensiv mitzuteilen. Für das, was ich da ausgedrückt sehe, würde ich viele, viele Stunden verbringen, wollte ich es über Sprache vermitteln – und wäre dann auch noch nicht am Ziel.

Es stimmt: In der Literatur, in der Musik und im Film ist das Thema Einsamkeit vielfältig bearbeitet worden. Friederike Gösweiner hat in dem Buch ein ganzes Kapitel über die Einsamkeit in der Literatur geschrieben. Aktuell fallen mir Alan Sillitoes „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“, „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel Garcia Marquez und das famose, sehr aktuelle Buch „Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells ein. Bei Leonard Cohen und bei den kubanischen Sängern Pablo Milanes und Silvio Rodriguez wird man sicherlich im Bereich Musik fündig. Beim Film muss ich aktuell leider passen.

Vielfalltag: Was hat Sie bei all den Texten und Informationen des Einsamkeit-Buches besonders überrascht? Gab es etwas, an das Sie überhaupt nicht gedacht haben und dafür umso mehr von Erkenntnisgewinn geprägt war?

Hax-Schoppenhorst: Mir war in den Anfängen nicht bewusst, wie negativ sich Einsamkeit auf unsere Gesundheit auswirken kann. So leiden die Psyche, Herz und Kreislauf, … das Schmerzempfinden steigert sich.

Erschlagend fand ich die Bandbreite. Geht man mal etwas in die Tiefe, ergeben sich immer neue Brennpunkte. Mir völlig unbekannt war zum Beispiel die Einsamkeit unserer Rettungssanitäter: Sie müssen täglich unsäglich Leid erleben und es irgendwie ‚verpacken‘, ohne sich mitteilen zu können. Zudem werden sie immer häufiger Opfer von Aggression und Gewalt. Das ist eigentlich unfassbar – die helfenden Berufe werden gedemütigt! Das wirft doch ein sehr fragwürdiges Licht.

Insgesamt aber waren alle Texte für mich Erkenntnisgewinn, da sie von langjährig erfahrenen Personen geschrieben wurden, die auf Grund ihrer langen Praxis viel zu sagen haben.

Vielfalltag: Einsamkeit ist nicht gleich Alleinsein, darauf wird im Buch auch verwiesen. Glückliches, zufriedenstellendes Alleinsein ist durchaus menschenmöglich. Ist Ihrem Empfinden nach auch glückliche, zufriedenstellende Einsamkeit menschen-möglich?

Hax-Schoppenhorst: Wenn Sie mich persönlich fragen, hege ich da meine Zweifel, da ich überzeugt bin, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Das heißt nicht, dass auch ich das Alleinsein mitunter sehr genießen kann, wobei ich mir meiner Lieben um mich herum stets bewusst bin. Aber es gibt durchaus Menschen, die auch mit anhaltender Einsamkeit keine Probleme haben – denken wir an spirituelle Persönlichkeiten. Das kann ich nur bewundern, wünschen würde ich es mir nicht.

Vielfalltag: Hartmut Rosa formuliert: „Wir laufen als Gesellschaft nicht mehr auf ein Ziel zu, wir laufen vor dem Abgrund weg, der sich hinter uns auftut“. Mit der Veröffentlichung des Buches ist ein Ziel erreicht – In der Hoffnung, dass Sie nicht vor einem Abgrund weglaufen, abschließend die Frage: Was sind kommende Ziele, auf die Sie sich hinbewegen?

Hax-Schoppenhorst: Ja, der Text von Herrn Rosa ist wirklich ein Juwel. Ich bin sehr froh und dankbar, dass er dabei war. Er betont in seinen großartigen Beiträgen immer die Notwendigkeit, dass Menschen zu größerer Zufriedenheit gelangen, wenn sie ein Ziel vor Augen haben und ihre Aufgaben lieben. Neben meiner Arbeit in der Psychiatrie, die mir sehr viel bedeutet und bei der ich dankbar bin, dass ich etwas gestalten kann, gehört natürlich die publizistische Tätigkeit zu meinen Herzensanliegen. Ich fühle mich erfüllt, wenn Bücher etwas bewegen können.

Um nicht aus der Übung zu kommen, habe ich gleich nach der Fertigstellung des Einsamkeits-Buches mit einem neuen Projekt begonnen. Die sehr gute Resonanz auf das Buch verlieh mir sozusagen Flügel. In den kommenden beiden Jahren werde ich mich mit vielen Autorinnen und Autoren – das Team stelle ich derzeit zusammen – dem Thema „Treue“ widmen. Diesen werde ich auf verschiedene Facetten des Gesundheitslebens gewissermaßen herunterbrechen. Dabei geht es um den Begriff von Treue, der frei ist von der Instrumentalisierung und Pervertierung vergangener Tage (zum Beispiel im Nationalsozialismus). Der Ausspruch des bekannten Schriftstellers Kurt Marti (Schweiz) „Einander wortverwandt: Treue und trauen / vertrauen. Auch ‚Trauer‘ vielleicht?“ ist dabei Leitmotiv. Wieder wird es ein Buch, das für alle lesbar und sicherlich gewinnbringend sein wird. Wer mitarbeiten möchte, ist herzlich eingeladen!

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Der Hogrefe-Verlag war so freundlich uns ein Buch zur Verlosung bereitzustellen. Wer dieses gewinnen möchte, schreibt bis zum 30. Oktober 2018 eine E-Mail mit dem Betreff „Einsamkeits-Buch“ an kontakt@vielfalltag.de und landet im Lostopf.

Es fragte: Henry Berner