SCHALTKREIS-STORIES - DJ JAUCHE aka OLIVER MARQUARDT
DJ Sets die noch Geschichten erzählen und ein überfüttertes Publikum – was davon ist Wirklichkeit? Mit unserer neuen Reihe „Schaltkreis-Stories“ wollen wir den Stand der Dinge, bei Leuten aus dem Bereich der elektronischen Musik, erfragen.
Vielfalltag: Werden in Sets noch Emotionen transportiert, mit Sets gar Geschichten erzählt? Und ist das Publikum zu überfüttert, als dass dieser Fakt an einem Set überhaupt noch wichtig ist?
DJ Jauche: Zu unterscheiden wäre hier wohl zu allererst, ob wir von einem DJ-Set sprechen, welches im Club funktionieren soll, oder ob es mehr im Kontext, in Form eines Podcasts angelegt ist. Früher nannte man dies ja Mixtape.
Von meinen Beobachtungen im Clubbereich her ist eindeutig klar: Emotionen werden vor allem gefordert, generiert und letztendlich auch transportiert. Dem Tänzer allein wird es anscheinend immer weniger überlassen von sich selbst heraus zu agieren. Ich sehe mehr DJs, DJ-Teams oder computerbasierte Live-Acts, die damit beschäftigt sind, an ihrem Arbeitsplatz Regenschirme aufzuspannen, Lametta oder ihre Arme hoch zu werfen und somit besagte Emotionen nahezu lauthals einfordern. Es wird mehr entertained und ich-bezogen agiert. Musik wird instrumentalisiert und überwiegend wird mit einer recht hohen Schnittmenge die gleiche Musik von verschiedenen Akteuren genutzt und vorgetragen. Die Musik hat zu funktionieren, Tracks sollen möglichst nicht zu lang sein und der Zeitwert eines Tracks scheint nach einigen Tagen abgelaufen. Geschichten in Form von überlegter bzw. wohl gefühlter Musik, welche aneinander gereiht wird um eine Stimmung zu erzeugen, ein Gefühl zu transportieren, die Möglichkeit einer gemeinsamen Reise durch die Nacht zu schaffen und somit zu erzählen, gibt es in dieser Form nahezu kaum noch. Nun muss ich natürlich objektiv betrachtet erwähnen, das sich wohl kaum alle DJs dieser Welt hören kann.
Auf den Bereich des Clubs betrachtet, ist das Publikum durchaus „überfüttert“. Allein aufgrund des großen Angebots an DJs, Live-Acts und auch der Musik, lässt sich nur schwer ein Fokus für den „User“ finden. Somit wird oftmals einfach genommen, was geboten wird. Das funktioniert relativ einfach nach dem Prinzip des Marktschreiers, wer am lautesten und originellsten schreit, der findet Beachtung. Dies ist völlig unabhängig von dem, was derjenige anzubieten hat. Möglicherweise wird heutzutage deswegen so beflissen hinter den „Arbeitsplätzen“ der DJs agiert.
Die Wichtigkeit des Geschichten-erzählens ist vermutlich nicht in Frage zu stellen, ist das letztendlich der Weg, auf dem sich die Menschheit von Generation zu Generation weiterentwickelt. Selbst unsere Zellen reichen ihr Wissen an die neuen Zellen und auch an die, durch Fortpflanzung neu entstehende Generation weiter. So gesehen gehen gerade ein paar Informationen verloren. Allein der musikalische Background, möglicherweise.
Im Bereich der DJ-Mixe, die überall als Podcasts zu hören sind, ergeben sich hier und da schon deutliche Unterschiede. Hier bemerke ich des öfteren kleine, musikalisch erzählte Geschichten. Überwiegend ist allerdings auch hier zu sehen, bzw. zu hören, dass viele Akteure mit wenig musikalischer Erfahrung ( meint, es fehlt oftmals ein breit gefächerter musikalischer Background, die Leute kommen eher durch die Party zur Musik als durch die Musik zur Party ), wenig Gefühl und hauptsächlich viel funktional, technischem Verständnis, Songs aneinander reihen.
Man sollte bei all dem nicht vergessen, dass die überwiegende Mehrheit mit Programmen bzw. CD-Playern, welche die Aufgabe des sauberen mixens nahezu allein übernehmen, arbeitet. Die Musikauswahl oftmals aus Kuriositäten, wie Sale-charts diverser Onlinestores, DJ-Charts und Shazam-Speicherungen besteht und Programme inzwischen sogar helfen eine tonal & Harmonie bedingte Vorauswahl zu treffen. Wie schon erwähnt, Musik heutzutage muss funktionieren.
Ich persönlich…aber das wäre eine andere Geschichte. Letztendlich ist es wichtig, dass die Menschen Spaß haben, Freude miteinander teilen und uns die Musik dabei helfen kann.
Vielfalltag: Vielen Dank für das Interview.
Es fragte: Henry Berner