LESOMETHING INTERVIEW

„1994 habe ich zuhause einen überlagerten, aber unbelichteten s/w-Film von ORWO gefunden. Mein Großvater hatte mir eine Kamera geschenkt, eine “Braun Candy”. Mit dieser Kamera und dem ORWO-Film habe ich die ersten Fotos gemacht, die nicht wahllos verknipst waren. Es sind vor allem Familienmitglieder drauf, frontal, mit Blitz aufgenommen, ich finde die Fotos von damals immer noch ziemlich cool.“ So ging vor 20 Jahren das Fotografieren unseres heutigen Interviewpartners lesomething aus Leipzig los. Seine Bilder zeigen ein unaufgeregtes Leipzig. Alltägliches und nebensächliches rücken in den Vordergrund. Es scheint als wäre lesomething die Vertrauensperson für die verträumte Seite seiner Heimatstadt, und gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeiter für das Verborgene. Seine Arbeitsgeräte sind die Kameras Canon 40D, Exa 1a & Mamiya RB67. Da er keine extra Foto-Touren macht sondern die Kameras immer dabei hat wenn er sowieso unterwegs ist, hat er sonst auch nur Alltagszeug am Mann. Auch keine Musik die aus den Kopfhörern kommt, da er Musik am liebsten zu Hause genießt. „Derzeit einige noch unveröffentlichte Stücke eines Freundes, die ich sehr liebe und die ich dauernd höre.“ Wie sich vor der Haustür Motive finden lassen, was Menschen auf Fotos zu suchen haben und wie es sich auf tumblr aushalten lässt– Vielfalltag fragte nach.
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Vielfalltag: Wenn ich mir deine Bilder anschaue, stelle ich mir dich als ruhigen Menschen vor – oder jemand der als Ausgleich fotografiert. Wie nah ist das an der Realität?

Lesomething: Wenn ich da so drüber nachdenke, fällt mir auf, dass man meine jeweilige Stimmungslage den Bildern wahrscheinlich ansehen kann. Wenn ich ruhig und ausgeglichen bin, sehe ich wohl andere Sachen, als wenn ich traurig bin oder unzufrieden. Wenn ich etwas machen kann, das ich sehr gerne tue, ist das auf jeden Fall ein Ausgleich zum Alltag, also kommt das schon hin.

Vielfalltag: Was hast du in deiner Ausbildung gelernt für das du dankbar bist? Siehst du dich im Vorteil durch die Fotografen-Ausbildung gegenüber Fotografen ohne Ausbildung?

Lesomething: Ich hatte eine klassische Ausbildung, das ist keine schlechte Grundlage, weiterentwickeln muss man sich dann selbst und was Eigenes daraus machen. Ich bin dankbar für das Vertrauen und die Unterstützung meiner Ausbilderin und die Routine, die ich heute im Umgang mit der Technik und mit den Motiven habe. Diese Sicherheit gibt mir erst die Möglichkeit, intuitiv zu arbeiten, ohne bewußt nachzudenken zu müssen.

Es gibt unglaublich viele sehr gute Fotografen, die sich alles selbst beigebracht haben, davor habe ich großen Respekt.

Vielfalltag: Du hast einen guten Blick für Details – wie sehr ist diese Fähigkeit erlernt?

Lesomething: Manchmal laufe ich herum und sehe nichts, manchmal tausend Sachen. Wenn mir alles langweilig vorkommt, habe ich keine Lust, auf den Auslöser zu drücken, und ein anderes Mal bin ich vom selben Motiv total fasziniert. Es ist alles stimmungsabhängig und dann ist da auch noch so ein allgemeines, sehr großes Interesse an Dingen um mich herum, die andere vielleicht langweilig finden.

Vielfalltag: In letzter Zeit gibt es ausschließlich schwarz-weiß-Fotos von dir – ihre Wirkung erzielen sie, aber sind sie nicht besser oder schlechter als die in Farbe. Wann gefällt dir ein Bild in schwarz-weiß mehr?

Lesomething: Mittlerweile gibt es wieder mal ein paar Farbfotos, gerade fühlt es sich so richtig an. Die schwarz-weiß-Fotos sind für mich konzentrierter und geben einen subjektiveren Blick wieder. Wenn ein Motiv von der Farbe lebt, dann lasse ich das Foto auch so, ob ich das so empfinde, ist aber auch sehr abhängig davon, wie es mir gerade geht.

Vielfalltag: Du setzt wenig Menschen auf deinen Bildern in Szene, wieso?

Lesomething: Das Projekt hat sich mit der Zeit so entwickelt. Es ging 2007 los mit “Postkarten” von Leipzig. Keine typischen Postkartenmotive, im Gegenteil. Es gab auch eine Ausstellung, da hingen dann hundert Postkarten oder so. Da ich jetzt mit dem Abstand von fünf oder sechs Jahren weitermache, entwickelt das Projekt sich und wird irgendwie noch klarer. Es stimmt schon, dass ich wenig Menschen direkt abbilde, aber trotzdem haben meine Motive ja immer mit Menschen zu tun.

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Hier ist ein Beispiel vom letzten Wochenende dafür, dass mir doch mal zufällig Menschen mit auf das Bild geraten. Ich finde, dass sie sofort, wenn man sie entdeckt hat, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So ähnlich ist das fast immer, wenn man Menschen fotografiert – man sieht den “Rest” nicht mehr richtig.

Vielfalltag: Wie spannend findest du den Aspekt, dass man nicht nur Fotos schießt, sondern gleichzeitig auch spätere Geschichte festhält?

Lesomething: Ja, ich fotografiere oft, was in dieser Weise bald nicht mehr da ist und das ist spannend. Aber meine Fotos eignen sich wahrscheinlich nicht so richtig zur Dokumentation. Es ist ja ein sehr subjektiver Blick auf Leipzig.

Vielfalltag: Wie stehst du zu deinem meist genutzten Motiv Leipzig? Der Hype um Leipzig scheint anzuhalten – was macht das mit Leipzig?

Lesomething: Ich bekomme von diesem Hype nicht viel mit. “Der Hype” scheint irgendwie immer gerade da zu sein, wo ich nicht bin. Ich finde Leipzig so entspannt wie immer.

Vielfalltag: Deine Bilder erwecken den Eindruck das Leipzig immer noch ein großartiger Abenteuerspielplatz ist und jeden Tag neue Motive entdeckt werden können, ist das so? Und wann hattest du deine beste Zeit mit/in der Stadt oder ist das die Gegenwart?

Lesomething: Schön, wenn das so ist. Es findet sich immer wieder etwas, was ich vorher noch nicht gesehen habe, auch wenn ich schon ganz oft den gleichen Weg gegangen bin. Es verändert sich ja auch alles ständig. Demnächst will ich mal an den nordöstlichen Rand Leipzigs, da war ich noch nie. Es gibt immer noch viele unentdeckte Ecken hier für mich.

Vielfalltag: Wie stehst du zu tumblr? Nutzt du es neben dem Fotos Hochladen auch noch anderweitig?

Lesomething: Ich mag tumblr, es ist sehr inspirierend und oft sehr beeindruckend, was andere Fotografen so machen. Ich habe auch noch ein paar andere Blogs für andere Fotos und dann noch tausendstaebe.tumblr.com, wo ich ab und zu reblogge, was mir gefällt.

Vielfalltag: Muss man für ein gutes Bild nur die Augen offen halten oder gehört noch mehr dazu?

Lesomething: Generell ist Offenheit ganz wichtig. Aber was alles zu einem guten Bild gehört, kann ich nicht sagen.

Vielfalltag: Leipzig gilt neben Berlin als Graffiti-Hochburg – wie nimmst du Graffiti war? Gefällt dir was du siehst?

Lesomething: Das kommt total drauf an… manchmal sieht die Wand erst dadurch interessant aus, man hat das Gefühl, woanders zu sein, das kann Graffiti auch.

Vielfalltag: Gefällt dir die sozialistische Architektur als Fotograf und als Privatperson?

Lesomething: Zwischen Fotograf und Privatperson gibt es ja keinen Unterschied. Ich mag auch, was die Zeit, Menschen und Umwelteinflüsse mit dem Material anstellen und wie die sich verändernde Umgebung die Wirkung der Gebäude beeinflusst. Es sollte nicht mehr so viel abgerissen werden, wenn es so etwas wie kulturelle Identität gibt, gehört diese Architektur unbedingt dazu.

Vielfalltag: Vielen Dank für das Interview und die exklusiven Fotos.

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Lesomethings Bilder gibt es hier zu sehen:

Tumblr

Es fragte: Henry Berner