COLLECTOR INTERVIEW

So kurz vor Silvester blicken wir in unserem ersten Artikel zurück. Zurück auf knapp 20 Jahre Graffiti-Fotografie. Von den goldenen Neunzigern bis heute gibt es so einiges in dem ca. 5000 – 10000 Bilder umfassenden Archiv von Collector (33) zu entdecken. Neben den ausführlichen Antworten gibt es pure Bilder-Nostalgie. Der Braunschweiger der keine Fotos mit dem smartphone macht, sandte uns exklusive Old-School-Fotos mit der Entstehungsgeschichte dahinter zu. Hier zunächst das Interview:
vielfalltag collector Graffiti

Vielfalltag: Wie fing die Begeisterung für Graffiti bei dir an? Ist ein gleichzeitiges Interesse an Rap vorhanden gewesen?

Collector: Die Begeisterung für Graffiti fing für mich eigentlich durch das eigene Entdecken von Graffitis bei Ausflügen in benachbarte Großstädte an. Mir fiel schon relativ früh auf das sich da etwas an Wänden, Zugstrecken und Zügen befand das nicht so gewöhnlich war, und als ich dann etwas später herausfand woher der Ursprung kam war der Funke übergesprungen. Dazu sollte ich auch erwähnen, dass ich neben der fotografischen Dokumentation von Graffitis selber auch seit Jahren aktiv als Sprüher tätig bin. Und im Übrigen gibt es bei mir auch ein gleichzeitiges Interesse an Rap.

Vielfalltag: Du hast so viele Graffiti gesehen, gibt es eine Lieblingsfarbkombination für dich? Welche Farben passen am besten auf welche Hintergründe?

Collector: Eine spezielle Lieblingsfarbkombination habe ich persönlich nicht. Wobei allerdings ein buntes Piece, z.B. auf einem Steel-Train, immer wesentlich mehr Wert hat als beispielsweise ein Silber-Bombing.

Vielfalltag: Welche Graffiti sind dir ein Foto wert und welche nicht?

Collector: Ein Graffiti muss für mich schon mit einem gewissen Aufwand entstanden sein das sich dafür auch ein Foto lohnt. Dabei ist auch das Zusammenspiel zwischen Qualität und Ort relevant. Ein simples Throw-Up z.B. kann durchaus für ein Foto interessant sein wenn es an einer schwer zugänglichen oder sehr illegalen Stelle angebracht wurde. Auf der anderen Seite ist ein vergleichbares Throw-Up an einer frei zugänglichen legalen Hall Of Fame eher uninteressant. Außerdem sollte ein Graffiti dann auch meistens meinem persönlichen Geschmack, beispielsweise vom Style her, entsprechen. Dieses trifft natürlich bei einer umfangreichen Dokumentation nicht immer zu.

Vielfalltag: Welche Lieder würde dein “ich geh heute raus und mach Fotos-Mixtape” beinhalten?

Collector: Da gibt es so vieles was passend dazu wäre. Insofern würde eine Tracklist dazu doch den Rahmen sprengen. Musik dafür ist auch immer stimmungsabhängig.

Vielfalltag: Fotografierst du auch andere Dinge außer Graffiti?

Collector: Ja natürlich!  Das sind dann aber nur ganz normale Motive wie sie die meisten Leute machen z.B. Familie, Freunde usw.

Vielfalltag: Was kann ein Foto was ein Video nicht kann?

Collector: Ein Foto kann das einzelne Graffiti besser festhalten. Auf einem Foto kann man auch die Details eines Graffitis besser und auch fortwährender betrachten als auf einem Video. Außerdem lassen sich Fotos einfach besser verarbeiten, katalogisieren bzw. auch präsentieren als Videos.

Vielfalltag: Gibt es Dinge die du an Graffiti heute vermisst? Wenn ja, was?

Collector: Ja, z.B. habe ich noch Zeiten erlebt zu denen man am Bahnhof stehen konnte und nicht wusste wohin man zuerst gucken oder laufen sollte, um alle bemalten Züge zu entdecken bzw. abzuknipsen. Heutzutage ist der Buff einfach viel intensiver und man muss schon viel Glück mitbringen um noch bemalte Trains zu sehen. Ich vermisse einfach die Masse an Zuggraffitis die es damals gab! Ansonsten vermisse ich auch, dass zu Zeiten des Internets der Wert des einzelnen Fotos oder des  Bildes verloren geht. Als man die Bilder nur auf originalem Fotopapier in den Händen halten konnte hat meiner Meinung nach das einzelne Piece mehr Wertigkeit gehabt als wenn man nun im Netz innerhalb von wenigen Minuten etliche Fotos durchklicken kann. Doch natürlich hat die heutige Zeit und das Internet auch seine Vorteile die ich durchaus zu schätzen weiß und auch für mich nutze. So bleibt z.B. mein Fotoarchiv nicht mehr ungeahnt!

Vielfalltag: Gab es schon direktes Feedback von Sprühern auf deine Bilder?

Collector: Es gab durchaus schon direktes Feedback von Sprühern auf meine Bilder. Dieses Feedback kam dann entweder durch mein eigenes Umfeld in dem sich auch aktive Sprüher befinden oder natürlich auch auf den Onlineplattformen auf denen ich meine Bilder präsentiere. Und dieses Feedback war bisher insgesamt gesehen durchaus positiv.

Vielfalltag: Was waren die schönsten Sprüche von Passanten die du dir schon anhören musstest?

Collector: Da ich bewusst beim Fotografieren eher in verborgenen agiere um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mich zu ziehen halten sich Sprüche von Passanten dann doch sehr in Grenzen. Standartsprüche z.B. an der Hall sind dann natürlich sowas wie: “ Das sieht aber schön aus” oder “ Prima, das haben Sie aber toll gemacht” und “Besser als dieses Geschmiere” usw. Wobei die meisten Passanten dann auch denken, dass man als Fotograf dann auch für das Bild verantwortlich sein muss!

Vielfalltag: Gab es Momente an denen du wie auf einen Schatz gestoßen bist, z.B. eine verlassene Halle im Wald, wenn ja, was waren das für Orte?

Collector: Ja die gab es auch schon! Ich kann mich z.B. noch gut daran erinnern wie ich in Berlin durch Zufall auf ein riesiges, leerstehendes Fabrikgelände gestoßen bin. Auf diesem Gelände war so gut wie alles bemalt und man konnte sich locker stundenlang aufhalten und Fotos machen. Sowas in der Richtung würde ich dann schon als “Schatz” bezeichnen wollen!

Vielfalltag: Wie oft hat dich dieses Hobby schon gelangweilt und wieso?

Collector: Es gibt eigentlich nur einen bestimmten Moment in dem mich dieses Hobby langweilt. Das wäre dann z.B. wenn ich zu Dokumentationszwecken mal an eine Hall of Fame fahre und dann sind da tatsächlich nur die gleichen Bilder die ich schon geknipst hatte! Ansonsten fallen mir da spontan keine langweiligen Situationen ein.

Vielfalltag: Was ist das schönste oder wichtigste an Graffiti? In welchen Momenten genießt du es besonders?

Collector: Das schönste oder wichtigste an Graffiti ist schwer zu umschreiben. Es ist einfach insgesamt gesehen eine schöne, wunderbare, faszinierende, weltweite Kunstform von der Straße. Und durch die enorme Schnelllebigkeit bzw. Vergänglichkeit dieser Kunstform ist es eben sehr wichtig diese auch entsprechend zu dokumentieren. Denn letztendlich bleibt eben immer nur noch das Foto. Ein schöner Aspekt von Graffiti ist dann sicher auch noch die immense Vielfältigkeit und Unberechenbarkeit. Man weiß z.B. nie was man neues entdeckt und was als nächstes auf einen zukommt. Es wird eben niemals langweilig. Und die Momente in denen ich es besonders genieße sind sicher diese in denen ich selber sprühe oder ein eben gesprühtes Bild betrachte und natürlich auch wenn ich ein frisch gemalten Burner betrachte, der mich einfach persönlich anspricht.

Vielfalltag: Ist es ein einsamer Job bzw. genießt du die Einsamkeit beim Fotos machen? Oder nimmst du lieber wen mit?

Collector: Zum größten Teil würde ich es tatsächlich als einen einsamen Job bezeichnen wollen. D.h. in der Regel genieße ich es auch alleine meine Fotos zu schießen. Wobei es aber auch mal vorkommen kann, dass ich wen als Begleitung mitnehme. Das entscheide ich je nach Lust und Laune.

Vielfalltag: Bahnhofschottergeruch vs. Leere Dosen an der Hall wegkicken – was ist dir lieber?

Collector: Es hat definitiv beides seine Vorteile. Ich persönlich würde dann aber doch das sogenannte Trainspotting am Bahnhof bevorzugen. Einfach aus dem Grund das ein Foto von einem bemalten Zug wesentlich mehr Wert hat als ein Foto von einem legalen Bild. Heutzutage fahren eben Züge meist leider nur noch einen Tag oder sogar nur eine Strecke und dann ist das Bild schon wieder gebufft. Insofern haben Zugfotos einfach einen höheren Status bei mir! Allerdings ist der Aufenthalt am Bahnhof auch meist wesentlich stressiger und man muss auch schnell sein um ein gutes Foto von dem Piece auf dem Zug zu bekommen. Denn sonst ist der Zug schneller wieder weg als man gucken kann! Auf der anderen Seite ist es dann entspannter gemütlich an der Hall entlang zu schlendern und ein Bild nach dem nächsten abzuknipsen. Ich mache beides gerne.

Vielfalltag: Was motiviert dich nach all den Jahren immer noch Fotos zu machen?

Collector: Die größte Motivation hierfür ist sicherlich das Wissen das Graffiti definitiv eine schnell vergängliche Kunstform ist und von den Bildern letztendlich leider nur noch ein Foto bleibt. Es macht mir einfach immer noch Spaß diese schnelllebige Subkultur zumindest zum Teil zu dokumentieren. Leider habe ich durch berufliche und familiäre Verpflichtungen mittlerweile immer weniger Zeit durch die Gegend zu reisen. Deshalb beschränkt sich die derzeitige Dokumentation eher auf die nähere örtliche Umgebung.

Vielfalltag: Wenn du dir vornimmst an einem bestimmten Tag Fotos zu machen, wann bist du zufrieden mit deiner Ausbeute?

Collector: Ich bin meist dann zufrieden wenn ich weiß das ich einige gute Fotos im Kasten hab die mir persönlich auch gut gefallen oder wenn ich von den Orten die aufsuchen wollte einfach auch eine für mich zufriedenstellende Ausbeute mitgebracht habe. Dabei kommt es dann eher auf die Qualität der Motive an und nicht auf die Quantität der Fotos.

Vielfalltag: Wie sieht ein perfekter Tag für einen Graffiti-Fotograf aus? Und hattest du schon solche Tage?

Collector: Ein perfekter Tag für einen Graffiti-Fotograf ist nach meiner Meinung ein Tag an dem man Fotos von Graffitis aller Genres abdecken konnte. D.h. dann das man z.B. eine gute Ausbeute an Trains, Streetbombings, Trainlinebildern und natürlich auch Hallbildern nach Hause bringen kann. Und ja, ich hatte zum Glück schon solche Tage!

Vielfalltag: Vielen Dank für das Interview.

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Es fragte: Henry Berner