ARTISTZ - BERLIN GRAFFITI - INTERVIEW
Geschichtsträchtig, wenn es um die Archivierung von Graffiti in Berlin im Internet geht, war Artistz.de. Von Qualität zeugend, wenn es um die Archivierung von Graffiti in Berlin in Heft-Form geht, ist das Artistz Magazin. Die Veröffentlichung der sechsten Ausgabe zum Anlass nehmend, ließen wir uns die Geschichte von Artistz näher bringen und natürlich soll es auch um Berlin gehen.
Vielfalltag: Artistz gibt es schon so lange, seit ich, vor ca. 15 Jahren, regelmäßiger online war. Ich erinnere mich an Hard 2 Burn VHS usw. Kannst du den Lesern bitte einen Überblick geben wie alles begann, wie es über die Jahre lief, und wo ihr heute steht?
Artistz: Begonnen hat alles im Jahre 1999 – Internet war nach und nach in fast jedem Kinderzimmer möglich. Wie man als Toy nun einmal so ist – die eigenen Sachen sind so krass und geil, dass man sie der größtmöglichen Gruppe zeigen möchte. Was eignet sich (heutzutage mehr denn je) am besten dafür? Eine Seite im Internet, so dass die ganze Welt staunen kann – Berlin Graffiti Sux machte es vor.
Die erste eigene Domain war schnell angemeldet und die selbst gebaute Homepage musste mit Inhalten gefüllt werden. Es wurden Filme um Filme vollgeknipst und in niedriger Auflösung eingescannt und Online gestellt. Nach und nach lernte man ein paar Szenegrößen kennen. Der Gedanke seine Fotos im Netz zu sehen gefiel einigen Leuten. Ein besonderer Dank geht hierbei an QAK DH. Er hat zu seiner Zeit im Satanic-Store in der Samariter Straße fast jeden vollgequatscht, er solle Fotos für Artistz.de abgeben. Etliche kamen dieser Bitte auch nach und lieferten uns exklusiven Stuff. So wurde man nach und nach bekannter in der Szene.
Später gab es den (in bestimmten Kreisen) legendären Chat – ein Verbund von Liquidz, ich glaube Graffitibox, Berlin-Artists und einer Graffitiseite aus Dresden. Als Moderatoren waren unter anderem die Admins der Seiten, aber auch zwischenzeitlich Mitglieder der Bassboxxx ernannt. So lernte man Frauenarzt und Mach kennen und wurde sogar in deren Studio bis nach Kreuzberg eingeladen.
Das war für eine kleine Toywurst schon etwas. Erste Kontakte zu Hiphop über Orgis Tape „Sexkönig“ und auf einmal sitzt man bei Mach in der Bude neben MOK, etlichen ausgecrossten EMU-Trains in aktuellen Graffiti-Magazinen und hört das Pornoparty-Album (wenn ich mich nicht komplett täusche) von Arzt seinem MiniDisc-Player, Jahre bevor die Scheibe veröffentlicht wird.
Irgendwann schlief der Chat aber ein und das Forum gewann an Aufmerksamkeit. Themen wie „Was fährt“ liefen extrem gut. Schnell kamen aber auch erste Mails von Writern die Wert auf Magazine legten und ihre Fotos deshalb nicht im Netz sehen wollten. Damals reichten ein, zwei Mails und es wurde sich im Groben an die Absprachen gehalten.
Irgendwann veranstalteten wir das erste Hall-Meeting in Berlin-Karlshorst und ließen die komplette Wand an einem Nachmittag bemalen. Später zogen wir wegen Genehmigungsproblemen auf das alte Russengelände nahe dem U-Bahnhof Biesdorf weiter. Später war der Bereich auch als Biesdorf-Hall bekannt, obwohl sie gar nicht in Biesdorf sondern in Karlshorst lag. Hier fanden nun unzählige Graffitinachmittage statt. Sponsoren machten viele Battles möglich. Ein Dank geht hier an fast alle Berliner GraffitiShops die immer fleißig Dosen rausgehauen haben (teilweise gab es über 100 Dosen zu gewinnen). In Höchstzeiten kamen 76 Teilnehmer zum Battle und selbst im Winter im tiefsten Schnee kamen zahlreiche Maler auf einen Glühwein vorbei.
Wie es mit Hobbys nun einmal so ist, sie ändern sich, verlieren an Bedeutung. Der Lauf der Zeit bringt Neuerungen mit sich, die man ignorieren kann, oder versucht sich ihnen zu stellen. Eine unserer Neuerungen war ein Schritt zurück. Aus dem Netz zurück zum Print – die erste Ausgabe unseres Magazins erschien im Jahr 2007. Wie auch zum Start der Internetseite hatten wir eigentlich keinen Plan von der Materie. Wir wurstelten uns irgendwas zusammen und waren auch recht Beratungsresistent in Sachen Layout, Fotosatz oder Produktionsweise eines Printmagazins.
Wo wir printmäßig jetzt stehen, siehst du Anhand der aktuellen, sechsten Ausgabe. Wo wir Onlinemäßig stehen…viel mehr als eine Visitenkarte ist die Seite leider nicht mehr. Jeder hat die Möglichkeit seine Fotos ins Netz zu jagen, exklusiven Stuff drucken wir lieber ab, als ihn dem Verfall des Netzes zu übergeben – demnach gibt es so gut wie keine Updates mehr. Es sei denn wir raffen uns auf und veranstalten doch noch einmal ein Battle. Oder ein neues Magazin steht an.
Vielfalltag: Wie war Berliner Graffiti als Artistz begann, und wie ist es heute?
Artistz: Es war und wird es immer sein – ein Spiegelbild des Lebens. Am Ende eine Szene wie jede andere.
Man lernt Leute kennen, gute wie schlechte. Man wird verarscht, verraten, ausgenutzt,… (siehe Text von Way). Crews werden gewechselt, der eine oder andere handelt sich Stress ein und verlässt Berlin.
Man lernt aber auch seinen Trauzeugen kennen, Freunde mit denen man in den Urlaub fährt, Leute mit denen man gute Projekte startet, vielleicht den Partner fürs Leben.
Graffitimäßig haben sich sicherlich nur die Spielarten / -mittel geändert. Dosen sind qualitativ besser geworden, es gibt gefühlt 500 verschiedene Dosenhersteller, Marker und Tinten. Graffitis sind ungewollt hässlich, schlecht, gewollt hässlich, mittelmäßig, gut oder ausgefeilt bis auf das letzte Detail. Es gibt Toys die sich zu angesehenen Writern hocharbeiten. Toys, die Toys bleiben, aber 50.000 Fans bei Facebook haben. Leute die von Graffiti leben können. Im Gegensatz zu 1999 kann man (wenn man das Zeug dazu hat, oder sich gut verkaufen kann) einfacher / mehr Geld mit Graffiti verdienen. Sei es über Auftragsarbeiten oder den Verkauf von Leinwänden.
Ich glaube, dass es „Berliner Graffiti“ wie man es früher verstanden hat heute nicht mehr gibt. Berlin ist Haupstadt von Deutschland. Graffitihauptstadt von Europa (wenn man der Presse glaubt). Unendliche Massen von Touristen und Neuberlinern drücken der „Szene“ ihre Stempel auf. Berliner Graffiti ist weltweit vernetzt. Berliner, die auf Tour im Ausland waren bringen Erlebtes mit und verändern ihren Stil. Berliner Graffiti ist bunter und toleranter geworden. (Auch) Berliner Graffiti ist mittlerweile so Mainstream wie Autos tunen oder jeden Scheiß bei Instagram hochzuladen. Hippes Graffiti wird neuerdings von der BVG genutzt um eine jüngere Zielgruppe anzusprechen – es ist massen-/ werbetauglich geworden und wird verbraten wo es geht. Viele ziehen ihren Nutzen daraus, teilweise auf dem Rücken anderer. Wie im „echten“ Leben halt.
Vielfalltag: Vielen Dank für das Interview.
Es fragte: Henry Berner