FORM INTERVIEW - TEIL 2

vielfalltag Form Cover

Vielfalltag: Wie war der form vor dem jetzigen form, dem du heute „Props für seine Egalheit“ geben würdest?

Form: Vor der Egalheit sind alle Menschen gleich ok und verdienen erst einmal Grundprops, sonst weinen sie. Dann führen die Widrigkeiten unserer Strukturen sehr oft dazu, dass alles abgetrennt wird, was irgendwie herausragt und so ist es gleich ein ganz schöner Kraftakt, abzuweichen. Das hat auch was mit Faulheit und Feigheit zu tun, führt aber eben in der Konsequenz dazu, dass das größte Verbrechen zumindest der meisten Leute in Deutschland ist, total langweilig zu sein. Das ist voll schade, eigentlich müssten sie das nicht. Und bei dem Track geht es ja auch nicht um die, die erkennen, dass ihnen etwas fehlt. Die kommen nämlich vielleicht auch irgendwann an den Punkt, an welchem sie tatsächlich etwas ändern. Sondern um die, die auf die herabschauen, die sich das nehmen, was ihnen fehlt. Weil sie selbst zu feige waren, etwas zu starten, das sie wirklich glücklich macht. Es ist einfach erbärmlich, zu wie wenig Empathie so viele Leute fähig sind, wenn sie sich ihre ständigen Urteile erlauben.

Vielfalltag: „Kinderbuchklassiker sind die Keimzelle der Gesellschaft“ ist die erste Aussage aus „Dieter Nuhr“ – kennst du bessere Bücher für Kinder als die Klassiker? Womit bist du groß geworden und womit sollten Kinder groß werden?

Form: Kinder sollten nicht groß werden. Große Kinder braucht niemand, das kostet ja auch alles Geld. Kinder sollten viel mehr klein bleiben, sich in Banden zusammenrotten und alle Erwachsenen versklaven. Das habe ich jetzt nur gesagt, weil ich spontan Krawall machen wollte, entschuldige bitte. Ich beginne noch einmal von vorn: Am Anfang war das Wort und Brei fiel aus ihm in DeiGsicht. Ich bin gar kein Kinderklassikerkritiker per se, auch wenn ich mich gern mal auf einen Bauzaun im Internet stellen würde, um die Kritik an der Kinderklassikerkritik kritisch zu betrachten. Die kleine Hexe wird aber nicht plötzlich ein voll schlimmes Buch, wenn man dem Wunsch des Autors folgt, einen rassistischen Begriff zu ersetzen, weil der für die Geschichte gar nicht nötig ist. Natürlich gibt es bessere Bücher für Kinder. Zum Beispiel meinen soon to be fertig Gedichtband/Illustrationsbuch/Miniaturensammlung/Dings namens “Von Null auf Eins”. Da verstehen die Kinder nix, aber es ist viel Platz zum Ausmalen da und irgendjemand muss das ja kaufen.

Ich selbst las als Kind TKKG, Wolfgang Hohlbein, Die rote Zora, Calvin & Hobbes, Prinz Eisenherz und alle Comics, die ich bekommen konnte. Aber da sagt man nicht lesen, gä!? Ich habe auf jeden Fall sehr viel gelesen, auch jeden Schund. Wir hatten ja sonst nix. Kinder sollten lesen, was ihnen gefällt, die rote Zora ist glaube ich immer noch gut. Und Calvin & Hobbes sollten alle Menschen kennen.

Vielfalltag: Es gibt Zeilen wie „(…) und du dich insgesamt nie etwas getraut hast“ aus „Dieter Nuhr“ oder „Ich will ja auch mal reisen wenn es dann eines Tages mal nicht so stressig wie jetzt ist“ und „also seid mal nicht so ängstlich“ aus „Im richtigen Leben lebe ich“. Kann man denn Angst jemanden zum Vorwurf machen? Ängstliches Verhalten hat doch Gründe für die die betreffende Person mitunter nichts kann.

Form: Ja, kann man. Wenn die Angst so übergriffig wird, dass diese klassisch deutsche Situation entsteht, in welcher sich immer zwei, drei Leute finden, die aus ihrer verfickt kuschligen Sicherheit heraus Noten verteilen zu müssen glauben. Eben, weil sie sich nie etwas getraut haben, aber meinen, sie müssten denen ans Bein pissen, die genau das tun. Das vergiftet die Gesellschaft, weil es dazu führt, dass sich niemand etwas traut.

Es ist ein wenig kompliziert, ich meine dort nicht einfach nur eine ehrliche Angst, die sich ihrer selbst bewusst ist. Sondern diese Arroganz, mit der sich viele über andere erheben. Gerade die, die gar nicht die Eier hätten, irgendwohin alleine zu gehen geschweige denn irgendetwas sichtbar auszuprobieren, ohne schon voll gut darin zu sein. Ich bin damit nun mal regelmäßig konfrontiert, weil ich z.B. bei Rap sehr sehr viele Experimente mache. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die genannten Würstchen in der Gruppe eben ein großes Maul haben, sich selbst aber im Leben nie trauen würden, sich auch nur ein Mal alleine aufs dünne Eis zu wagen.

Wenn man das Argument ansonsten auf die Spitze treibt, kann man irgendwann gar nichts mehr scheiße finden oder kritisieren. Gründe finden sich ja für alles immer zuhauf. Aber ich finde einen gewissen Grundanspruch aller Menschen an sich selbst und den Umgang mit anderen schon ganz hilfreich.

Es sind ja nicht die ängstlichen, schüchternen Menschen gemeint, auch wenn mich Schüchternheit auch zur Weißglut treibt, haha. Aber Schüchterne sind ja sympathisch, sie trauen sich halt nicht so leicht und man muss damit respektvoll umgehen können.

Vielfalltag: “Am Schnürchen, an dem alles klappt, hat sich manch einer aufgehängt“ aus „Im richtigen Leben lebe ich“ ist für mich eine der stärksten Zeilen. Wie gelingt es dir ohne dass etwas wie am Schnürchen klappen MUSS, zufrieden zu sein? Dieses „es muss klappen“-Gefühl kommt ja, wenn man es nicht in sich trägt, spätestens wieder von vorgesetzten, wo auch immer sie vor einem sind.

Form: Es gelingt mir ja nicht, zufrieden zu sein. Ich bin unzufrieden, mir fehlt die Anerkennung für das, was ich musikalisch mache. Ich weiß aber, dass es Leute erreicht, daher nutze ich diese Möglichkeit, euch einmal explizit zu sagen, dass ich nicht mitbekomme, wenn ihr meine Sachen irgendwo illegal herunterladet und dann nichts dazu sagt. Ihr könnt das ändern, indem ihr meine Musik kauft oder mir zumindest davon erzählt, wenn euch etwas gefällt. Dann kann ich im Übrigen auch weiterhin Musik veröffentlichen. Das kostet nämlich nicht nur Zeit und Mühe, sondern auch Geld. Und ich mache das sehr gut, daher will ich, dass viele etwas davon mitkriegen.

Das ist aber frei nach Axel Honneth mein Anerkennungsdefizit. Ich bin darüber hinaus schon auch zufrieden, weil ich Fehler und Scheitern als notwendig erachte. Hätte ich mich nicht getraut zu singen, obwohl ich das laut Deutschland nicht kann, hätte ich diesen Weg des Ausdrucks verpasst und wäre weniger glücklich. Mein Homie mosch sagte mal: „Rap ist kein Weitsprung.” Und das gilt für sehr viel. Sehr viel ist kein Weitsprung. Des weiteren hilft es, zu sich selbst nur so streng zu sein wie zu sehr guten Freund_innen. Wenn man die Peitsche verinnerlicht hat, wird es schwierig. Befreit euch!

Vielfalltag: Was an dem Menschentyp „Backpapierbügler“ macht ihn für dich dennoch liebenswert?

Form: Gar nichts. Ich liebe Feindbilder. Ich differenziere sowieso schon viel zu viel, das hat mir oft genug auch geschadet, weil zu viele unfähig sind, es zu checken. Dann lieber nur ein Satz, Missverständnisse gibt es ja, egal wie man es macht. Ich habe jedenfalls den neuen Trend in mir gestartet, mich sehr kurz zu fassen.

Vielfalltag: Die Welt ist immer im Wandel, sogenannte Trends blühen auf und flachen ab – ich würde sagen, dass Hip Hop von seinem Beginn bis heute eine positive Entwicklung vollzogen hat, trotz oder wegen Trends immer spannend geblieben ist. Siehst du das ähnlich? Wie weit müsste sich alles vom Ursprung entfernen, so dass du sagst ich will damit nichts zu tun haben?

Form: Ja. Ich hasse Kulturpessimismus. Man muss schimpfen können und ja, wacke Menschen und Ideen müssen auseinandergenommen werden. Aber ich liebe HipHop aus vollem Herzen und aus tausenden Gründen. Wer es nicht schafft, auch schöne Sachen wahrzunehmen oder positive Entwicklungen anzuerkennen, läuft erstens Gefahr, an der Welt zu zerschellen und hat zweitens schlicht Unrecht. Zweiteres ist das Schlimmste.

Wenn ich nichts mehr damit zu tun haben wollen sollte, müsste ich mich selbst von meinem Ursprung entfernt haben. Ich nehme mir sonst immer gern schön selektiv nur die positiven Dinge raus. Aus allem. Aber damit bekomme ich auch eine Perspektive und muss mich nicht aufhängen. Was es sonst an Scheiße gibt, liegt ja auch viel mehr an so Dingen wie Kapitalismus und künstlerischer Feigheit. Aber dafür kann HipHop nichts.

Vielfalltag: Vielen Dank für das Interview.

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Es fragte: Henry Berner